Besuch der Heldenfestung Brest am 22. Juni 2017
Die Veteranen der weißrussischen Marine-Infanteristen aus Minsk haben eine Delegation von Desant e.V. anlässlich des Gedenkens an den Überfall der faschistischen Okkupanten vom 22. Juni 1941 nach Brest eingeladen. Ich wurde gefragt ob ich daran teilnehmen möchte. Und wie ich wollte! Zuerst standen einige offene Fragen. Fahren wir mit dem Auto oder mit dem Zug? Wo würden wir übernachten? Wer kommt überhaupt mit? Haben wir noch genug Urlaub und ausreichend finanzielle Mittel um so eine knappe Woche zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen? Letztlich war alles geplant. Während ein Teil von uns mit dem Auto fuhr, nutzte ein anderer die Eisenbahn. Ein, zwei Tage vor dem Festakt würden wir uns mit unseren russischen Freunden von AVIKO treffen und gemeinsam dort die Zeit verbringen. Das heißt, gemeinsam Brest erkunden, essen, trinken, singen und schlafen.
Als wir in Brest ankamen wurde kurz telefoniert, sofort wurden wir abgeholt. Unser Kontakt aus Minsk lotste uns zu einem Freund, der wiederum bewirtete uns sehr ausführlich. Der Nachmittag war noch nicht vorbei und Konstantin tauchte auf. Konstantin ist ein Freund unseres Gastgebers. Die nächsten Tage sollten vollkommen anders verlaufen, als wir das alles geplant haben. So viel kann ich schon einmal verraten, wir haben es nicht bereut, auch wenn das Treffen mit AVIKO in den nächsten Tagen dabei viel zu kurz kam. Konstantin und seine tolle Gattin Galina luden uns eben gleich und sofort im Anschluss zu sich auf die Datscha ein. Ich hatte keine Vorstellung, was mich erwarten würde. Überrascht und überwältigt kamen wir bei unseren neuen Freunden an. Ein sehr schönes Grundstück, direkt am Wasser, sehr sauber, für weißrussische Verhältnisse schon dekadent! Da wieder ordentlich gefeiert wurde und ich mitbekam, dass unsere Unterkunft gut 50 km von unserem Standort entfernt lag, entschied unser Gastgeber Konstantin, heute fährt hier keiner mehr weg und das war gut so! Also übernachteten wir alle dort. Es sollte nur für eine Nacht sein, geblieben sind wir bis zum Schluss. Wir haben tagsüber die Zeit genutzt, unter der Führung von Konstantin Brest kennenzulernen. Natürlich besuchten wir auch schon einmal die Festung und andere Sehenswürdigkeiten.
Am Nachmittag und Abend des 21. Juni bereiteten wir uns auf die offizielle Gedenkveranstaltung in der Heldenfestung vor. Schuhwerk und Uniformen wurden auf Hochglanz gebracht. Nach Mitternacht machten wir uns auf den Weg. Ich hatte vorher keine Ahnung, wie viele Menschen mitten in der Nacht unterwegs sein würden. Mit uns liefen tausende Brester, vor allem viele jungen Leute. Die Gefahr, sich hier zu verlieren war sehr groß. Und wie, um Himmels Willen, sollten wir da jemals unsere AVIKO-Freunde finden. Nahezu unmöglich! Die Festbeleuchtung wurde fast bis zu kompletten Dunkelheit gedimmt. Eine unheimliche Stille lag in der Luft. Dann ging das Spektakel los. Der Überfall wurde nachgestellt. Bomben- und Granatexplosionen, Maschinengewehrschüsse zerfetzten die Ruhe. Die Menschen, die um mich herum standen, waren genauso erstarrt wie ich. Die Zeit habe ich dabei verloren und kann heute nicht einmal mehr sagen, wie lange die Szenen des Überfalls auf die UdSSR nachgestellt wurden. Plötzlich Stille und die Reden der Repräsentanten begannen. Man gedachte der vielen gefallenen Helden und erinnerte sich wieder daran, dass es solch eine Situation nie wieder geben darf. Gestern nicht, heute nicht und morgen erst recht nicht! Plötzlich trafen wir, wie zufällig, unsere Kaliningrader Freunde. Natürlich waren sie enttäuscht, dass wir uns erst in der Festung getroffen haben. Ich bin mir sicher, mit AVIKO haben wir in nächster Zeit noch genügend Möglichkeiten, dass wir uns gedanklich austauschen können.
Fazit der Reise: Ich bin sehr froh und stolz, dass wir diese Reise gemacht haben. Zu sehen und zu wissen, dass es unter der weißrussischen Bevölkerung immer noch starke Gedanken um einen irrsinnigen möglichen bewaffneten Konflikt oder Krieg gibt, hat mir gezeigt, dass deren Gedanken weitaus realistischer sind, als die von vielen Deutschen. Auch hier waren wir uns alle einig: Krieg, egal in welcher Form, braucht kein Mensch. Nur Größenwahnsinnige denken an die Lenkung und Führbarkeit eines Krieges!
Konstantin und Galina habe ich für immer in mein Herz geschlossen und wünsche mir sehr, dass sie es ermöglichen können, meiner Einladung nach Berlin irgendwann zu folgen. Je eher, je besser!
Jurik Köhler, Berlin, 6. August 2017